DGB-Bildungswerk
Thüringen e.V.

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Wir befinden uns am Erfurter Hauptbahnhof. Etwas unscheinbar erinnert eine Tafel im Treppenaufgang zwischen der Unterführung und den Gleisen 6 und 7 daran, dass dieser Ort während des Nationalsozialismus für die Erfurter Jüdinnen und Juden die letzte Station der Verfolgung innerhalb der Stadt war. Von hier aus wurden sie vom 9. Mai 1942 bis Januar 1945 in die nationalsozialistischen Vernichtungslager deportiert.

1932 umfasste die jüdische Gemeinde in Erfurt 1290 Männer und Frauen. Das war damals ca. 1% der Stadtbevölkerung. Antisemitische Ausschreitungen und Straßenterror sowie die systematische wirtschaftliche Ausgrenzung und rechtliche Schlechterstellung ab 1933 führten dazu, dass bis 1936 fast die Hälfte der Erfurter Jüdinnen und Juden die Stadt verlassen hatten. Im Oktober 1938 wurden in einer Nacht- und Nebelaktion als „polnischstämmig“ bezeichnete jüdische Bürger*innen an die polnische Grenze gebracht und zwangsweise ausgewiesen, obwohl sie seit vielen Jahren in Erfurt gewohnt hatten oder sogar hier geboren wurden. Sie mussten die Stadt in Bussen oder Zügen vom Bahnhof aus verlassen. Der Novemberpogrom nur einen Monat später war ein weiterer Schritt der Ausgrenzung und Drangsalierung. Mit offener Gewalt gingen SA und SS, unterstützt von der nicht-jüdischen Bevölkerung, im gesamten Deutschen Reich gegen Jüdinnen und Juden vor. Damit verbunden waren auch Verhaftungen und brutale Misshandlungen. Aus Erfurt wurden etwa 190 Männer am Morgen des 10. November in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Die Lage für die jüdische Bevölkerung verschlechterte sich immer weiter.

Wurde durch die systematische Ausgrenzung und Schikanierung der jüdischen Bevölkerung ab 1933 deren Auswanderung forciert, radikalisierte sich die nationalsozialistische Politik mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs mit dem deutschen Überfall auf Polen. 1941 beschlossen die Nationalsozialisten die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ und damit die gezielte Vernichtung aller Jüdinnen und Juden. Ab dem sechsten Lebensjahr wurden jüdische Bürger*innen dazu gezwungen, einen gelben Stern auf ihrer Kleidung zu tragen, um sie öffentlich zu kennzeichnen. In einem gesellschaftlichen Klima, das von Antisemitismus geprägt war, bedeutete dies eine permanente Gefährdung der Menschen im öffentlichen Raum. Ab Oktober 1941 war es Jüdinnen und Juden verboten, Deutschland zu verlassen. Die jüdische Gemeinde in Erfurt bestand zu diesem Zeitpunkt noch aus 223 Mitgliedern. Diese verbliebenen Menschen wurden auf Anordnung des Oberbürgermeisters Kießling aus ihren Häusern in sogenannte „Judenhäuser“ bzw. „Ghettohäuser“ zwangsumgesiedelt. Ab dem 10. Mai 1942 wurden die Menschen schließlich in Zügen in die nationalsozialistischen Vernichtungszentren in Osteuropa deportiert. An diesem Tag verließ ein Transport mit 125 Personen die Stadt. Seine Ziele waren Belzec und Majdanek. Die Namen der in den Tod deportierten Menschen wurden im Adressbuch der Stadt geschwärzt. Dadurch sollte jede Erinnerung an sie ausradiert werden. Bis Januar 1945 verließen weitere Züge die Stadt in Richtung Theresienstadt und Auschwitz. Rund 350 Erfurter Jüdinnen und Juden wurden durch die Nationalsozialisten ermordet, etwa 60 überlebten und nur 30 kehrten nach Kriegsende nach Erfurt zurück. Nur durch die Unterstützung, das stille Einverständnis und das Schweigen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung war es dem nationalsozialistischen Machtapparat möglich, die Verfolgung, Deportationen und schließlich den systematischen Massenmord zu organisieren.

Rundgänge
Diese Station ist Bestandteil der folgenden Rundgänge: