Wir stehen vor der Schlösserstraße 8. In diesem Haus befand sich bis Anfang der 1970er Jahre das Bekleidungsgeschäft „Schalling Damen- und Herren-Modeartikel GmbH“. Es galt als eine gute Adresse in Sachen Bekleidung.
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Das Schicksal der beiden Inhaberinnen Frieda und Margarethe Schalling steht aber auch beispielhaft für die fatalen Folgen, welche die seit 1935 geltenden Nürnberger Gesetze im Alltag vieler Menschen hatten. Im Januar 1937 gingen ihre Namen durch die Lokalpresse, denn sie wurden vor dem Landgericht Erfurt am Friedrich-Wilhelm-Platz eines Verbrechens angeklagt, das es ohne den Nationalsozialismus nicht gegeben hätte. Das Vergehen bestand darin, dass sie regelmäßig mit ihrem Vermieter und langjährigem Freund zu Mittag gegessen hatten. Dieser Mann war der Arzt Dr. Oskar Moses – ein Jude.
Mit den Nürnberger Gesetzen griffen die Nationalsozialisten in die intimsten menschlichen Beziehungen ein und machten sie zum Objekt von Schnüffeleien und Denunziationen sensationslüsterner und ideologisch fanatisierter Nachbar*innen. Denn der sogenannte „Rassenschandeprozess“ gegen Frieda Schalling und Oskar Moses in Erfurt konnte nur zustande kommen, weil es Hinweise für die Anklage gegeben hatte und Zeug*innen vor Gericht aussagten.
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Im Jahr des Gerichtsprozesses waren Frieda Schalling und Oskar Moses bereits seit mehr als 30 Jahren freundschaftlich verbunden. Oskar Moses hatte als Arzt die Tochter Margarethe behandelt, später die Mutter finanziell unterstützt, als diese ihr Geschäft eröffnen wollte. Als Oskar Moses 1932 krank wurde, war es für Frieda und Margarethe Schalling selbstverständlich, sich um den hilfsbedürftigen Freund zu kümmern und ihn durch ihre Haushälterin mitversorgen zu lassen. Als 1935 die Nürnberger Gesetze verabschiedet worden waren, wurde die Geschäftsfrau von der Gestapo vorgeladen und darauf hingewiesen, dass ihr das Führen eines gemeinsamen Haushaltes mit einem Juden verboten sei. Um den beiden Freundinnen weiteren Ärger zu ersparen, zog der Doktor zunächst aus seinem eigenen Haus aus und man ließ die Haushalte durch einen Umbau räumlich trennen, um dem Gesetz Genüge zu tun. Doch dies half ihnen nichts. Die Anklage wurde nicht fallen gelassen da Oskar Moses „die Mahlzeiten noch immer gemeinsam mit den Geschäftsfrauen einnehme und die Aufwartung [also das Dienstmädchen] zugegen“ sei. Auch dies war nach den Nürnberger Gesetzen verboten.
Es wurde eine Geldstrafe von insgesamt 900 Reichsmark verhängt, 600 für Oskar Moses, für den der Staatsanwalt drei Monate Haft gefordert hatte, sowie 300 Reichsmark für Frieda Schalling. Neben der Geldstrafe dürfte die Beteiligten die Veröffentlichung privater Details sowohl im Gerichtssaal als auch in der Presseberichterstattung besonders getroffen haben. Die verhängte Strafe war indes einigen offensichtlich noch nicht genug, denn die Thüringer Ärztekammer strebte ein Berufungsverfahren gegen den schwerkranken Moses an. Dies wurde allerdings nicht mehr umgesetzt, da Moses 1937 verstarb.